Einführung: Text von Andrew Cannon, Berlin.
In der griechischen Mythologie ist iapetos der Name einer der Titanen. Am 25. Oktober 1671 entdeckte der Astronom Jean-Dominique Cassini den drittgrößten Mond des Riesenplaneten Saturn, der später Iapetus genannt wurde. Dieser Mond besteht im wesentlichen aus Wassereis. Seine entgegen der Flugrichtung weisende Heckseite erscheint weiß, die in Flugrichtung weisende Bugseite so dunkel, dass Cassini diesen Mond deswegen immer nur westlich von Saturn sehen konnte, nie aber östlich davon. Seine Erklärung war, dass die Oberflächen von Iapetus unterschiedlich beschaffen sein müssen. Heute nimmt man an, dass die dunkle Bugseite mit eingefangenem Staub der äußeren Monde bedeckt ist und deswegen Licht weniger stark reflektiert als die silberweiße Eisfläche der Heckseite. Iapetus steht hier stellvertretend, je nach Wirksamkeit von Licht, für das Gesehene und das Nicht-Gesehene des Vorhandenen.
Daniel Lergon präsentiert in den Räumen des Untergeschosses und der oberen Galerie des Kunstvereins Mönchengladbach, die zur gemeinsamen Seite offen sind, Malerei zweier unterschiedlicher Charakteristika. Auf der zum Untergeschoß gehörenden großen Seitenwand, die auch von oben einsehbar ist, befindet sich eine einzige über einige Meter ausgedehnte große Wandmalerei. In der oberen Galerie hängen an der hierzu parallelen Wand fünf Bilder gleicher Höhe aber unterschiedlicher Breite auf weißem Retroreflexstoff.
Bilder auf weißem Retroreflexgewebe werden in dieser Ausstellung zum erstenmal gezeigt. Sie sind ohne Verwendung von Pigmentfarben mit farblosem durchsichtigen Lack bemalt. Die Betonung des Malgrundes durch ausgesuchte Eigenschaften im Hinblick darauf, Licht auf besondere Art und in besonderem Masse umzusetzen, zu reflektieren oder umzuwandeln, stellt ein wesentliches Charakteristikum dar. Der so mit ‚Lichtpotenzial’ aufgeladene Malgrund, ähnlich der silberweißen Oberfläche eines Sees, wird durch neutralen, farblosen Lack malerisch markiert, ähnlich der Störung der glatten Seeoberfläche durch ein herabfallendes Blatt oder einen Stein.
Anders als in traditionellen Formen von Malerei mit Farbpigmenten auf neutraler Leinwand ist hier die Wahl des Malgrundes als wesentlicher Teil des „Gemäldes“ bereits eine Entscheidung ähnlich der Farbauswahl aus einer Farbpalette, während der farblose, neutrale Lack die Dynamik der Malgeste übernimmt.
Im Gegensatz zu dem aufgeladenen Weiß des Retroreflexstoffes als Malgrund wurde die überdimensionale Malerei auf der unbehandelten weißen Wand mit Hilfe von gebundenem Grauguss-Metallpulver durchgeführt. Die Materialität der massiven Wand wird durch die Malsubstanz interpretiert. Auch hier wurde auf die Verwendung von Farbpigmenten zugunsten des reinen Elementes verzichtet, wie dies bereits in der diesjährigen Ausstellung ‚Elements’ in der Galerie Almine Rech, Brüssel gezeigt wurde. Der nun erst beobachtbare langsam beginnende Oxidationsvorgang, das mit der Zeit eintretende Rosten, soll hier der materiellen ‚Beschmutzung’ der Iapetus-Oberfläche und der bereits vor mehr als 300 Jahren beobachteten lichtwirksamen weißen Oberfläche des Iapetus gegenübergestellt werden.