„… Fasziniert von der radikalen Geste eines Gordon Matta-Clark, der Architektur als Plastik begriff und Baukörper als Volumina auffasste, die durch Teilungen, Ausschneidungen, Öffnungen verändert werden können, hat Heike Pallanca bereits während ihres Studiums begonnen, mit Räumen und Interventionen im öffentlichen Raum zu arbeiten. Themen, die sie bis heute nicht los gelassen haben. Ging es Matta-Clark vor allem um die Bewusstmachung real existierender Gebäude, so schlug Pallanca schon Anfangs ihrer künstlerischen Laufbahn einen größeren Bogen, indem sie Raum und Architektur immer auch als gesellschaftlichen Raum auffasst. Architektur fungiert in ihrem Werk stets als Metapher. Sie steht für Zivilisation und ihre Handlungsweisen, für Eingrenzung und Abgrenzung, aber auch für Konservierung von Geschichte.
…Einen vergleichbaren Stellenwert wie die Mauern nehmen auch die Arbeiten mit Mosaiken, Fliesen und Betonplatten im Oeuvre der Künstlerin ein, die schließlich zu ihrer breit angelegten künstlerischen Forschung über das Thema „Erdbeben“ führten. In Erinnerung an das rheinische Erdbeben von 1992 ist denn auch 1996 Pallancas erste Erdbebenarbeit entstanden. Und zwar in einem Krefelder Schwimmbad, dessen Infrastruktur durch das Beben zerstört wurde. Im Schwimmbecken legte die Künstlerin ein 40 Quadratmeter großes weißes Mosaik aus, das die Daten des Bebens trug. Sie beließ es jedoch nicht bei diesem Gedenkbild, sondern simulierte gleichsam ein Erdbeben. Durch manuelle Erschütterung schoben sich die Mosaiksteine übereinander oder sprangen an den Rändern aus ihrem Verbund. Die verblüffende Wirkung, dass nicht das gesamte Bild zerstört wurde, sondern aufgrund der Schubkräfte und Druckwellen an ganz anderen Stellen als erwartet auseinanderbrach, sorgte bei Pallanca für eine intensive, wissenschaftliche Hinwendung zu dem Phänomen Erdbeben. Mit „Assisi“ und „Mu Jo“ folgten ähnliche Arbeiten. Im Gegensatz zu vielen jüngeren Künstlern, die sich mit soziologischen und gesellschaftsrelevanten Themen auseinander setzen, die meist mittels Video dokumentiert werden, fußt Pallancas Erdbebenforschung schlüssig auf einem konsequent über 20 Jahre hinweg entwickelten bildhauerischen Werk. Dem künstlerischen Artefakt, das in Ausstellungen zu sehen ist, steht eine akribische, soziologische Forschungsarbeit zur Seite. So knüpfte sie Kontakte zu Erdbebenforschern, besuchte in Yokohama den Erdbebensimulator und bereiste verschiedene Gebiete und Städte, die durch Beben zerstört wurden. Ihre jüngste Reise führte sie nach Anatolien, wo sie Opfer des letzten verheerenden Bebens in einem Zeltlager traf. …“
Textauszüge (Laudatio von Dr. Beate Ermacora anlässlich der Verleihung des Künstlerinnenpreises des Landes NRW für Bildhauerei am 10. Dezember 2004)
Heike Pallanca, 1952 in Düsseldorf geboren, lebt und arbeitet dort.